NATIONALUNIVERSITÄT HANOI
HOCHSCHULE FÜR FREMDSPRACHEN
ABTEILUNG FÜR POSTGRADUIERTENSTUDIUM
******************************
TRẦN THỊ VÂN QUỲNH
KONVERSATIONELLE IMPLIKATUR
IN DEUTSCHEN WITZEN
HÀM NGÔN HỘI THOẠI TRONG TRUYỆN CƯỜI TIẾNG ĐỨC
MASTERARBEIT
Fachrichtung: Germanistik
Fachrichtungscode: 60220205
HANOI – 2016
NATIONALUNIVERSITÄT HANOI
HOCHSCHULE FÜR FREMDSPRACHEN
ABTEILUNG FÜR POSTGRADUIERTENSTUDIUM
******************************
TRẦN THỊ VÂN QUỲNH
KONVERSATIONELLE IMPLIKATUR
IN DEUTSCHEN WITZEN
HÀM NGÔN HỘI THOẠI TRONG TRUYỆN CƯỜI TIẾNG ĐỨC
MASTERARBEIT
Fachrichtung: Germanistik
Fachrichtungscode: 60220205
Betreuerin: Frau Dörter Lütvogt
HANOI – 2016
ERKLÄRUNG
Hiermit bestätige ich, dass ich die vorliegende Arbeit eigenständig
angefertigt und keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt
habe. Desweiteren erkläre ich, dass ich alle wörtlichen und indirekten Zitate sowie
Grafiken aus den angegebenen Quellen und Hilfsmitteln korrekt gekennzeichnet
habe. Mir ist bekannt, dass ein Verstoß gegen diese Regelung als Plagiat betrachtet
wird.
Hanoi, den 31.10.2016
Trần Thị Vân Quỳnh
i
DANKSAGUNG
An dieser Stelle möchte ich mich bei all denjenigen bedanken, die mich
während der Anfertigung dieser Masterarbeit unterstützt und motiviert haben.
Ganz besonders gebührt mein Dank Frau Dr. Dörte Lütvogt, die meine
Masterarbeit betreut und begutachtet hat. Für die hilfreichen Anregungen, die
konstruktive Kritik, die große Motivation und Sympathie bei der Erstellung dieser
Arbeit möchte ich mich herzlich bedanken. Ohne Sie könnte diese Arbeit nicht
angefertigt werden.
Ebenfalls möchte ich mich bei meiner alten Firma, meiner Chefin und allen
Kollegen bedanken, die mir mit Hilfsbereitschaft zur Seite standen.
Zu guter Letzt gilt der besondere Dank meiner Familie vor allem meinem
Mann und meiner Tochter, die mir mein Studium durch ihre Unterstützung
ermöglicht haben und stets ein offenes Ohr für meine Sorgen hatten.
Ihnen ist dieser Arbeit gewidmet.
ii
ZUSAMMENFASSUNG
In der Tat geht es nicht immer aus der wörtlichen Bedeutung einer sprachlichen
Äußerung hervor, was der Sprecher eigentlich meint. Stattdessen ist im Gesagten
häufig nicht enthalten, was eigentlich gemeint ist. Es besteht ein grundsätzlicher
Unterschied zwischen dem, was Wörter und andere Ausdrucksformen bedeuten
(lexikalische Bedeutung) und dem, was der Sprecher bei seiner Verwendung von
Wörtern und Intonation mitmeint (aktuelle Bedeutung) (vgl. Polenz 2008: 299)
In der vorliegenden Arbeit wird versucht, auf das sprachliche Phänomen,
konversationelle Implikaturen im Hinblick auf die literarische Gattung „Witz“ zu
untersuchen. Durch die Analyse eines Korpus von zeitgenössischen Witzen soll
überprüft werden, ob konversationelle Implikaturen in dieser literarischen Gattung
existieren und wenn ja, ob die jeweilige konversationelle Implikatur durch
Befolgung
oder
Verletzung
der
von
Herbert
Paul
Grice
formulierten
Konversationsmaximen ausgelöst wird und welche rhetorischen Mittel dabei
verwendet werden.
Die Untersuchung wird auf der Grundlage der Grice‘schen Theorie über die
konversationelle
Implikatur
(das
Kooperationsprinzip
und
die
Konversationsmaximen) und der Semantischen Skript-Theorie des Humors - SSTH
(Raskin 1985) durchgeführt.
iii
INHALTSVERZEICHNIS
ERKLÄRUNG ..................................................................................................... i
DANKSAGUNG ................................................................................................. ii
ZUSAMMENFASSUNG.......................................................................................... iii
INHALTSVERZEICHNIS ........................................................................................iv
EINLEITUNG ...........................................................................................................1
TEIL I:
THEORETISCHE GRUNDLAGEN.....................................................................13
1. Konversationelle Implikaturen ......................................................................13
1.1. Einführung ..................................................................................................13
1.2. Das Kooperationsprinzip und die Konversationsmaximen ........................14
1.3. Das Schema zur Erschießung konversationeller Implikaturen...................18
1.4. Die Entstehung der konversationellen Implikatur .....................................20
1.4.1 Entstehung konversationeller Implikaturen durch Befolgung der
Maximen ........................................................................................................20
1.4.2 Entstehung konversationeller Implikatur durch Verletzung der
Maximen ........................................................................................................23
1.5 Merkmale der konversationellen Implikaturen............................................27
1.6 Arten der konversationellen Implikaturen ...................................................31
2. Witze – ihre Definition und Merkmale..........................................................34
2.1. Abgrenzung der Begriffe „Witz“ und „Humor“.........................................35
2.2. Aufbau des Witzes ......................................................................................36
2.3. Die Formen des Witzes...............................................................................38
2.3.1. Erzählung .............................................................................................38
2.3.2. Dialog...................................................................................................39
2.3.3. Erzählung und Dialog ..........................................................................40
2.3.4. Frage-Antwort ......................................................................................40
2.3.5. Dreier-Modell.......................................................................................40
iv
2.4. Die innere Gegensätzlichkeit des Witzes ...................................................41
2.4.1. Über den Begriff Skript........................................................................42
2.4.2. Über die semantische Skript-Theorie des Humors - SSTH .................44
TEIL II:
KONVERSATIONELLE IMPLIKATUREN IN DEUTSCHEN WITZEN
EINE EMPIRISCHE UNTERSUCHUNG ...........................................................47
1. Die Bevölkerungsgruppe der Ostfriesen und die Hintergründe des
Ostfriesenwitzes in Deutschland ........................................................................47
2. Konversationelle Implikaturen in deutschen Ostfriesenwitzen ..................49
2.1. Erzählung ....................................................................................................49
2.1.1. Verstoß gegen die Maxime der Modalität ...........................................50
2.1.2. Verstoß gegen die Maxime der Qualität ..............................................53
2.1.3. Unklare Entstehung der konversationellen Implikatur ........................54
2.2. Erzählung und Dialog .................................................................................54
2.2.1. Verstoß gegen die Maxime der Quantität ............................................54
2.2.2. Verstoß gegen die Maxime der Qualität ..............................................58
2.2.3. Verstoß gegen die Maxime der Relation .............................................60
2.2.4. Verstoß gegen die Maxime der Modalität ...........................................61
2.3. Frage – Antwort ..........................................................................................62
2.3.1. Verstoß gegen die Konversationsmaximen .........................................62
2.3.2. Befolgung der Konversationsmaximen................................................67
ZUSAMMENFASSUNG ........................................................................................71
LITERATURVERZEICHNIS ...............................................................................78
OSTFRIESENWITZ................................................................................................. I
v
EINLEITUNG
Zufällig bin ich auf einen Post eines Freundes auf Facebook gestoßen, in dem es
hieß: (1) „Hat jemand von euch die Telefonnummer von diesem schönen, niedlichen
Mädchen? Ich glaube, ich bin in sie verliebt.“ Jemand, der diesen Facebooker nicht
persönlich kennt, würde hier aus den wörtlichen Bedeutungen schließen, dass der
Verfasser sich einseitig in das Mädchen verliebt hat und gerade nach ihrem Kontakt
sucht. Seine Bekannten und vor allem seine engen Freunde, die wissen, dass die
beiden bereits ein Paar sind, dürften den Post allerdings anders interpretieren, und
zwar in dem Sinne, dass der Verfasser seiner Freundin ein öffentliches Kompliment
machen möchte.
Diejenigen, die den Kontext kennen, wissen hier, dass die lexikalischen
Bedeutungen und sprachlichen Formen der Sätze nichts mit dem eigentlich
Gemeinten zu tun haben. Statt seine Freundin direkt zu loben, stellt der Verfasser
vor vielen Freunden eine Frage, eine unechte Frage. Streng genommen, hat er in
dem Fall eine Lüge ausgedrückt, da er in der Tat doch ihren Kontakt hat. Es stellt
sich nun die Frage, warum wählt er einen indirekten Weg, statt seine Gefühle direkt
zum Ausdruck zu bringen? Und wie können die Hörer/Leser die eigentlich
gemeinte Bedeutung erschließen?
Problemstellung und Untersuchungsgegenstand
„...man kann Sprache nur verstehen, wenn man mehr als Sprache versteht ...“
(Hörmann 1976: 210)
In der Tat geht es nicht immer aus der wörtlichen Bedeutung einer sprachlichen
Äußerung hervor, was der Sprecher eigentlich meint. Stattdessen ist im Gesagten
häufig nicht enthalten, was eigentlich gemeint ist. Es besteht ein grundsätzlicher
Unterschied zwischen dem, was Wörter und andere Ausdrucksformen bedeuten
(lexikalische Bedeutung) und dem, was der Sprecher bei seiner Verwendung von
Wörtern und Intonation mitmeint (aktuelle Bedeutung) (vgl. von Polenz 2008: 299)
1
Es ist offensichtlich, dass wir im Alltag aus bestimmten Gründen (Höflichkeit,
Ironie, Vermeidung zu intimer Themen ...) nicht immer alles aussprechen können.
Der tatsächliche Äußerungsinhalt besteht wesentlich aus dem, was der Sprecher/
Verfasser
aufgrund
seiner
Absichten,
Einstellungen,
der
eigenen
Kommunikationssituation ausdrücken will (vgl. von Polenz 2008: 299). Die
Kommunikation kommt nur zustande, wenn eine Verständigung zwischen dem
Sprecher und dem Gegenüber erreicht wird. Daraus ergibt sich die Frage, wie der
Hörer das Nicht-Gesagte, also das vom Sprecher Gemeinte, erschließen kann. Es
scheint schwierig zu sein, trotzdem funktioniert die Kommunikation im Alltag
zumeist.
Offenbar
existieren
stillschweigende
Kommunikationsregeln,
die
es
den
Gesprächspartnern ermöglichen, dieses Informationsungenügen zu vermeiden und
das Gemeinte aus dem Gesagten herauszuziehen. Im Stillen wirkt zwischen ihnen
ein Mechanismus, für den der englische Sprachwissenschaftler Herbert Paul Grice
in seinen William-James-Lectures on Logic and Conversation im Jahr 1967
(veröffentlicht im Jahr 1975) den Begriff „konversationelle Implikatur“ geprägt hat
(vgl. Grice 1975/1979: 42)
Es lässt sich sagen, dass eine konversationelle Implikatur eine sprachliche
Schlussfolgerung ist, die nicht nur in Alltagssituationen, sondern auch in nahezu
allen literarischen Textsorten zu finden ist. Im Rahmen meiner Arbeit wird das
sprachliche
Phänomen
„konversationelle
Implikatur“
im
Hinblick
auf die
literarische Gattung „Witz“ als Untersuchungsgegenstand ausgewählt. Der
Entscheidung liegt der folgende Grund zugrunde: Der Witz ist eine häufig gelesene
Textsorte, die vermutlich in allen Kulturen vorkommt, und dient als ein gutes Mittel
für das Entkommen aus dem Alltagstrott. Witze haben nicht nur einen
Unterhaltungswert, sondern dienen oft der Kritik an Menschen, der Gesellschaft
und anderen Institutionen. Das Lachen dient als ein gutes Mittel zur Erotisierung
oder Abwertung von schlechten Charakteren in der Gesellschaft. Betrachten wir
einen berühmten traditionellen Witz aus Vietnam: Lợn cưới áo mới, auf Deutsch
2
Hochzeitsschwein – neues Hemd. Im Folgenden zitiere ich den Witz in zwei
Sprachen und mit meiner eigenen Übersetzung:
(2) Lợn cưới áo mới
Có anh tính hay khoe của. Một hôm, may được cái áo mới, liền đem ra mặc,
rồi đứng hóng ở cửa đợi có ai đi qua người ta khen. Đứng mãi từ sang đến
chiều, chả thấy ai hỏi cả, anh ta tức lắm.
Đang tức tối, chợt thấy một anh cũng hay khoe, tất tưởi chạy đến hỏi to:
- Bác có thấy con lợn cưới của tôi chạy qua đây không?
Anh kia liền giơ ngay vạt áo ra, bảo:
- Từ lúc tôi mặc cái áo mới này, tôi chẳng thấy con lợn nào chạy qua đây
cả.
(Trương Chính/Phong Châu 2004, 189).
Hochzeitsschwein und neues Hemd
Ein Mann ist sehr prahlerisch. Eines Tages kauft er sich ein neues Hemd. Er
entscheidet sich, es zu tragen und damit vor dem Haupttor seines Hauses zu
stehen. Er hofft darauf, viele Komplimente zu bekommen. Doch vom Morgen
bis zum Nachmittag lobt niemand sein Hemd. Darüber ärgert er sich.
Nach einiger Zeit kommt ein anderer Mann, der auch für seine Prahlerei
bekannt ist, vorbei. Dieser fragt ihn:
- Haben Sie mein Hochzeitsschwein gesehen?
Der andere Mann hält seinen Hemdkragen und sagt zu ihm:
- Seitdem ich mein neues Hemd angezogen habe, habe ich kein Schwein
gesehen.
Wenn ein vermisstes Schwein gesucht wird, braucht man in der Regel lediglich das
Aussehen zu beschreiben, damit andere Leute es erkennen können. Doch der Mann
in diesem Witz nutzt die Gelegenheit, um mit seiner Hochzeit zu prahlen. Der
Sprecher ist sich dessen bewusst, dass der Hinweis auf die Hochzeit überflüssig ist,
spricht ihn dennoch absichtlich aus, um auf diese Weise triumphierend auf seine
Hochzeit aufmerksam zu machen. Der zweite Mann ist auch sehr prahlerisch. Seine
3
Antwort beinhaltet ebenfalls eine unnötige Informationen: mặc cái áo mới này
(mein neues Hemd). Er bräuchte lediglich zu sagen, dass er, seit er dort steht, kein
Schwein gesehen hat. Die Aussage über sein neues Hemd steht in keinem
Zusammenhang mit der Suche des anderen Mannes nach dem verlorenen Schwein.
Mit der deutlichen Verletzung der Maxime der Quantität (auf die ich später im Teil
I eingehen werde) wird eine konversationelle Implikatur ausgelöst. Der traditionelle
Autor möchte den prahlerischen Charakter der beiden Männer betonen und
kritisieren.
Ausgehend von diesen Erkenntnissen ergibt sich für mich die These, dass auch in
deutschen Witzen konversationelle Implikaturen vorkommen und verwendet
werden. Vor diesem Hintergrund wähle ich konversationelle Implikaturen in den
deutschsprachigen Witzen als Untersuchungsgegenstand meiner Arbeit. Das Thema
meiner Arbeit lautet entsprechend Konversationelle Implikatur in deutschen Witzen.
Zielsetzung der Arbeit
Dem Thema entsprechend wird in der vorliegenden Arbeit versucht, die
konversationelle Implikatur in deutschsprachigen Witzen zu untersuchen. Durch die
Analyse eines Korpus von zeitgenössischen Witzen soll überprüft werden, ob
konversationelle Implikaturen in dieser literarischen Gattung existieren und wenn
ja, ob die jeweilige konversationelle Implikatur durch Befolgung oder Verletzung
der von Herbert Paul Grice formulierten Konversationsmaximen ausgelöst wird und
welche rhetorischen Mittel dabei verwendet werden. Als Grundlage für die
empirische
Untersuchungen
sollen
zunächst die
Grice‘sche
Theorie
zur
konversationellen Implikatur und die wichtigsten Theorien über die Textsorte
„Witz“ dargestellt werden.
Forschungsstand
Theorie von Grice
Der Begriff der konversationellen Implikatur wurde zum ersten Mal im Jahr 1967
von dem Sprachphilosophen Herbert Paul Grice in seinen 1975 veröffentlichten
William-James-Lectures onLogics and Conversation eingeführt. Diese Idee basiert
4
teilweise auf seiner Arbeit Meaning, in der Grice den Unterschied zwischen einer
zufälligen Übermittlung von Informationen und der wirklichen Kommunikation
darstellen möchte. Er führt dabei die Begriffe natürliche Bedeutung und nichtnatürliche Bedeutung ein. Er hat herausgefunden, dass sich das Gemeinte von dem
Gesagten unterscheiden kann und dass der Sprecher mit seiner Äußerung Absichten
verfolgt, die vom Empfänger erkannt werden sollten. Aufgrund dieser Erkenntnisse
entwickelte Grice die Implikaturtheorie mit dem Kooperationsprinzip und den vier
Konversationsmaximen: Maxime der Qualität, Maxime der Quantität, Maxime der
Relation und Maxime der Modalität. Das Kooperationsprinzip von Grice gilt für
diejenige Kommunikationsart, deren oberste Prinzip das Bemühen beider
Gesprächspartner um eine Kommunikationskooperation ist. Wenn jemand eine der
Maximen mit Absicht nicht befolgt, wird nach Grice eine konversationelle
Implikatur (conversational implicature) hervorgerufen (vgl. von Polenz 2008:
312).Anders gesagt, der Hörer soll aus der absichtlichen Verletzung einer Maxime
eine Schlussfolgerung ziehen. Wer in bestimmten Situationen eine Maxime nicht
befolgt, muss einen Grund dazu haben, d. h., er meint eigentlich noch etwas
anderes, als das, was er sagt.
Durch das Kooperationsprinzip und die vier Konversationsmaximen findet Grice
einen Weg, um zu zeigen, wie konversationelle Implikaturen zustande kommen.
Aus diesem Grund spielen das Kooperationsprinzip und die Konversationsmaximen
eine bedeutende Rolle bei der Untersuchung konversationeller Implikaturen.
Über lange Zeit sind Grices Arbeiten stark und fast kritiklos rezipiert worden. Erst
ab den 1980er-Jahren wurden kritische Prüfungen der Implikaturtheorie und
Vorschläge zur Modifikation und Reduktion des Kooperationsprinzips und der
Konversationsmaximen hervorgebracht, weil man die Maximen als teilweise
überflüssig und unsystematisch betrachtete.
5
Theorie von Horn
Zunächst reduziert Laurence R. Horn 1984 die Konversationsmaximen von Grice
auf zwei Prinzipien, und zwar das hörerorientierte Q- und das sprecherorientierte RPrinzip.
Q(uantitäts)-Prinzip: „Mach deinen Beitrag hinreichend für das Verständnis des
Hörers; sage so viel du sagen kannst (ohne die Qualitätsmaxime und das R-Prinzip
zu verletzen).“ (Doelling WS2012/2013)
R(elations)-Prinzip: „Mach deinen Beitrag notwendig für das Verständnis des
Hörers; sage nicht mehr als du musst (ohne das Q-Prinzip zu verletzen).“(Dölling
2012/2013)
Im Zusammenhang mit den Grice‘schen Maximen entspricht das Q-Prinzip der
ersten Submaxime der Quantität (Mache deinen Beitrag so informativ wie möglich)
und deckt in einem weiteren Sinne auch die ersten beiden Submaximen der
Modalität ab (Vermeide Unklarheit, vermeide Mehrdeutigkeit). Das R-Prinzip
umfasst die zweite Submaxime der Quantität (Mach deinen Beitrag nicht
informativer als nötig), die Maxime der Relation (Sei relevant) und die letzten
beiden Submaximen der Modalität (Fasse dich kurz und sei methodisch).
Das Q-Prinzip sorgt für die Minimierung des Höreraufwands. Denn umso mehr
Informationen der Hörer bekommt, die für sein Verständnis nötig sind, desto
weniger Aufwand muss er betreiben. Im Gegensatz dazu dient das R-Prinzip der
Minimierung des Sprecheraufwands. Der Sprecher versucht nur die nötigsten
Informationen zu liefern, damit der Hörer mit seiner Kenntnissen und seinem
Wissen um den Kontext die Inferenzen ableiten kann.
Theorie von Levinson
Stephen C. Levinson schlug in seinem Buch Presumptive Meaning: The Theory of
generalized conversational implicature im Jahr 2000 eine kleine Umgruppierung
mit drei Prinzipien vor: das (Q)uantitäts-Prinzip, das (I)nformiertheits-Prinzip und
das (M)anner-Prinzip. Diese Prinzipien bezeichnet Levinson als Heuristik und
definiert sie folgendermaßen:
i.
„Quantitäts-Heuristik: Was nicht gesagt wird, ist nicht der Fall
6
ii.
Informiertheits-Heuristik: Was auf einfache Weise ausgedrückt wird,
beschreibt den prototypischen Zustand
i.
Modalitäts-Heuristik: Was in einer unnormalen Weise gesagt wird,
beschreibt den untypischen Zustand“ (Mühlenbernd 2009: 21)
Die Quantitäts-Heuristik entspricht der ersten Grice‘schen Maxime der Quantität:
Mach deinen Beitrag so informativ wie möglich, weil dies besagt, dass man alle
nötigen Informationen liefern sollte, nichts auslassen darf.
Die Informiertheits-Heuristik spiegelt die zweite Submaxime der Quantität von
Grice wider: Mach deinen Beitrag nicht informativer als nötig. Die I-Heuristik
veranlasst den Sprecher, den minimalen Informationsgehalt zu liefern, der
hinreichend ist, damit die Kommunikation gelingt.
Die Modalitäts-Heuristik kann auf die erste (Vermeide Unklarheit) und vierte
Submaxime der Modalität (Der Reihe nach) zurückgeführt werden. Wenn ich mich
nicht methodisch und unklar ausdrücke, dann muss ich etwas anderes meinen, weil
ich mich sonst klar und in normaler Weise hätte ausdrücken können.
In der vorliegenden Arbeit wähle ich Grice‘s Theorie als theoretische Grundlage, da
alle anderen Theorien mit Erweiterungen oder Reduzierungen letztlich auf Grice‘s
Theorie beruhen.
Forschungsstand zum Witz
Da der Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit nicht nur die konversationelle
Implikatur, sondern auch die literarische Gattung Witz ist, wird im Folgenden
versucht, einen kurzen Überblick über die Witzforschung in der westlichen Kultur
zu geben. Die Witzforschung hat im Westen eine lange Geschichte, die auf die
griechische und römische Antike zurückgeht (8. Jahrhundert v. Chr. – 476 n. Chr.)
(vgl. Cui 2008: 26). Platon gilt allgemein als der erste Theoretiker des Humors (vgl.
Attardo 1994: 18, zit. nach Cui 2008: 27). „Er sieht Humor als die Mischung von
Vergnügungen und Schmerz an“ (Cui 2008: 27). Aristoteles’ These ist identisch mit
der Ansicht von Platon, wobei die beiden Humor als etwas Unschönes und
Negatives betrachten (vgl. Cui 2008: 27). Seit Anfang des 20. Jahrhunderts
7
interessieren sich immer mehr Wissenschaftler für das Thema Witz und Humor. Die
relevanten Forschungen kommen in erster Linie aus der Literaturwissenschaft, der
Soziologie, der Volkskunde und der Linguistik (vgl. Cui 2008: 31).
Im Bereich der Literaturwissenschaft ist Andre Jolles (1874-1946) ein wichtiger
Vertreter der Humorforschung. Er betrachtet Witz als „einfache Form“, als
literarische Gattung im weitesten Sinn (vgl. Cui 2008: 31).
Im Bereich der Soziologie und Volkskunde gilt Lutz Röhrlich als der wichtigste
Vertreter. Er erläutert ausführlich die Figuren, Formen und Funktionen des Witzes
in seinem berühmten Werk Der Witz: Figuren, Formen und Funktionen im Jahre
1977.
In den linguistischen Forschungen wird der Witz auf der Textebene analysiert.
Preisendanz betrachtet den Witz als „ein Sprachgebilde, einen Text, der nicht durch
den Gegenstand seiner Aussage, sondern durch die Art und Weise des Aussagens
definiert ist“ (Preisendanz 1970: 17, zit. nach Cui 2008: 33).Im Jahr 1985 führt
Raskin den Gedanken der semantischen Skripte für die Witzanalyse ein. Er stellte
fest, dass „jede Witztext mit zwei Skripten kompatibel ist, die sich sowohl
überlappen, als auch in Oppositionen zueinander stehen“ (Raskin 1985: 99, zit. nach
Cui 2008: 33). Sechs Jahre später entwickelten Raskin und sein Student Attardo die
Semantische Skript-Theorie des Humors zur Generellen Theorie des Verbalen
Humors (1991) weiter. In der erweiterten Fassung werden neben der
Skriptoppositionen noch fünf andere Faktoren genannt und analysiert, die für die
Witzanalyse
relevant
sein
sollten.
In
Kapitel
2
wird
aufgrund
des
Materialienmangels nur die Theorie von Raskin vorgestellt und erläutert.
Forschungsstand in Vietnam
In Vietnam zeigen ebenfalls viele Sprachwissenschaftler wie Hoàng Phê, Đỗ Hữu
Châu, Diệp Quang Ban Interesse an dieser Thematik. Hoàng Phê beschäftigt sich
mit der Unterscheidung von Präsupposition und Implikatur, Đỗ Hữu Châu
interessiert sich für den Zusammenhang zwischen den expliziten und impliziten
8
Bedeutungen, den Unterschieden zwischen den semantischen Implikationen und
pragmatischen Implikaturen.
Für die Untersuchung der theoretischen Grundlagen gibt es also schon einen
umfangreichen Bestand an Forschungsliteratur. Trotzdem existieren bisher noch
sehr wenige systematische Arbeiten, in denen die konversationelle Implikatur
empirisch untersucht wird.
Empirische Untersuchungen
Unter
den
praxisbezogenen
Untersuchungen
zum
Thema
verdient
ein
Forschungsartikel von Bùi Khắc Viện aus dem Jahr 1980 – Tiếng cười trong phong
cách ngôn ngữ của Bác trong các tác phẩm tiếng Việt (Das Lächeln in
vietnamesischsprachigen Werken Ho Chi Minhs) – Beachtung. In diesem Artikel
identifiziert der Autor zwei Möglichkeiten zum Erreichen des Lächelns: nichtsprachliche Mittel und sprachliche Mittel. Zu den nicht-sprachlichen Mitteln
gehören u. a. Textkohärenz und die gezielte Handlungsauswahl. Rhetorische
Stilmittel sind seiner Meinung nach den sprachlichen Mitteln zuzuordnen.
Einen Beitrag zum Thema leisten außerdem Helga Kotthoff mit der Arbeit Spaß
verstehen: zur Pragmatik von konversationellem Humor aus dem Jahr 1998 sowie
Peiling Cui mit der Doktorarbeit Deutscher und Chinesischer Humor – eine
kontrastive
Studie
zu
den
deutschen
und
chinesischen
ethnischen
und
Familienwitzen aus dem Jahr 2008. Weitere empirische Anwendungen des
Implikaturenkonzepts finden sich bezüglich diverser sprachlicher Phänome: Bei
Grewendorf (1995) geht es um das Tempus (Präsens und Perfekt im Deutschen),
bei Posner (1989) um Verknüpfungen von Sätzen (A Natural History of Negation),
usw.
Aufgrund der ausführlichen Recherche gehe ich davon aus, dass in der aktuellen
Sprachforschung theoretische Arbeiten dominieren. Infolgedessen ist es sinnvoll,
eine Arbeit zu verfassen, die neben einer Darstellung der theoretischen Grundlagen
eine empirische Untersuchung konversationeller Implikaturen in Witzen beinhaltet.
9
Untersuchungsmethode und Korpus
Die Untersuchung wird auf der Grundlage der Grice‘schen Theorie über die
konversationelle
Implikatur
(das
Kooperationsprinzip
und
die
Konversationsmaximen) und der Semantischen Skript-Theorie des Humors - SSTH
(Raskin 1985) durchgeführt.
Nach dem Hauptgedanken von Grice sollten der Hörer und der Sprecher zum
rationalen Gespräch das Kooperationsprinzip befolgen. Dieses entspricht den vier
Konversationsmaximen (Qualität, Quantität, Relation und Modalität).
Die Witze werden auch nach der Semantischen Skript-Theorie des Humors - SSTH
(Raskin 1985) interpretiert1. Laut dieser Theorie lässt sich ein Witz auf zwei
verschiedene Weisen interpretieren, die im Zusammenhang mit der Witzanalyse als
zwei Skripte bezeichnet werden. Ein Skript entspricht der Erwartung des
Hörers/Lesers, das andere Skript verweist währenddessen auf das reale Geschehen.
Diese beiden Skripte stehen auf der einen Seite in einem engen Zusammenhang, auf
der anderen Seite in einer Opposition zueinander.
Der Korpus besteht aus ungefähr 100 Witzen, die den Webseiten:
• http://witze-ueber-witze.de/ostfriesenwitze.html
• http://www.spitzenwitze.de/witze/ostfriesen/
entnommen wurden. Die Entscheidung, Witze aus dem Internet zu finden, hängt mit
der Zeitgebundenheit vieler Witze zusammen. Als ein kulturelles und sprachliches
Phänomen beziehen sich Witze meistens auf die aktuellen Themen und Ereignisse
der Gesellschaft. Daher ist es nötig, neu erschienene Witze zu untersuchen.
Das Thema der vorliegenden Arbeit lautet „Konversationelle Implikatur in
deutschen Witzen“. Allerdings gibt es eine schier unerschöpfliche Menge an
„deutschen Witzen“, deswegen muss der Korpusumfang begrenzt werden. Witze
können nach Formen, nach Themen oder nach Strukturen eingeordnet werden. Nach
längerer Recherche habe ich mich entschieden, mich bei der Korpuserstellung auf
1
Aufgrund des Mangels an Literatur wird die SSTH aus der Doktorarbeit von Peiling
Cui entnommen.
10
sogenannte „ethnische Witze“ zu konzentrieren. Laut Duden Fremdwörterbuch
(2007: 418) bedeutet ethnisch:
•
Einer sprachlich und kulturell einheitlichen Volksgruppe angehörend
•
Die Kultur- und Lebensgemeinschaft einer Volksgruppe betreffend (ethnischer
Konflikt)
Im Allgemeinen lässt sich der Begriff „ethnisch“ auf eine Menschengruppe
beziehen, die über kulturelle Gemeinsamkeiten verfügt, eine gemeinsame Herkunft
hat und auf dieser Basis ein bestimmtes Identitätsbewusstsein ausbildet (vgl. Cui
2008: 97). Prägend für eine ethnische Gruppe sind also:
der Glaube an eine gemeinsame Herkunft, an Gemeinsamkeiten von Kultur und
Geschichte sowie Elemente eines Identitäts- und Zusammengehörigkeitsbewusstseins (vgl. Heckmann 1992: 30, 48-49, zit. nach Cui 2008: 97).
In diesem Sinne bezieht sich der Ausdruck „ethnische Gruppe“ nicht nur auf große
nationale Einheiten wie Staaten, sondern auch auf die kleineren Teilbevölkerungen
wie z. B. die Bevölkerungsgruppen im Norden und Süden Vietnams oder Ostfriesen
und Schwaben in Deutschland. Sie lassen sich durch ihren eigenen Dialekt, ihre
typischen Gewohnheiten, ihre Herkunft und ihren Umgang mit Menschen,
Maschinen usw. charakterisieren. In der vorliegenden Arbeit möchte ich
konversationelle Implikaturen nicht in allen Gruppen von ethnischen Witzen,
sondern lediglich am Beispiel der Ostfriesenwitze untersuchen. Ostfriesenwitze sind
einer der bekanntesten deutschen Witztypen, den wir auf fast allen Witz-Webseiten
und in fast allen Witzbüchern finden können.
Aufbau der Arbeit
Die Arbeit ist folgendermaßen untergliedert: Im Anschluss an die Einleitung
werden in Teil I die theoretischen Grundlagen dargestellt. In diesem Teil werden
zunächst Grice’s Theorie der konversationellen Implikatur, das Kooperationsprinzip
und die Konversationsmaximen, Implikaturentypen und deren Merkmale behandelt.
Anschließend werde ich auf das Wesen des Witzes und dessen Analyse eingehen.
Hierbei werden die SSTH-Theorie von Raskin und deren Erweiterung dargestellt.
Teil II beinhaltet die empirische Untersuchung, die sich mit der konkreten Analyse
11
eines Korpus von deutschen ostfriesischen Witzen beschäftigt. Auf der Basis der
Grice Theorie und Raskin Theorie werden die Witze analysiert und es wird geprüft,
ob die konversationellen Implikaturen vorkommen und ob sie durch die Befolgung
oder die Verletzung der Konversationsmaximen zustande kommen. m letzten
Kapitel soll ein zusammenfassender Überblick über die Ergebnisse der
Untersuchung gegeben werden.
12
TEIL I:
THEORETISCHE GRUNDLAGEN
1. Konversationelle Implikaturen
Als Grundlage der empirischen Untersuchung sollen im Folgenden die allgemeine
Theorie der konversationellen Implikatur samt den entsprechenden Definitionen,
das Kooperationsprinzip und die Konversationsmaximen dargestellt werden. Dabei
soll auch auf die Merkmale und Arten von Implikaturen eingegangen werden.
1.1. Einführung
Die konversationelle Implikatur2 gilt als eine der ganz wichtigen Ideen der
Pragmatik. Dass sich immer mehr neuere Arbeiten mit diesem Thema beschäftigen,
hat viele Gründe. Erstens ist die konversationelle Implikatur ein typisches Beispiel
für das Wesen und die Überzeugungskraft pragmatischer Erklärungen von
sprachlichen Phänomenen. Offensichtlich hängt das Verstehen einer Äußerung
nicht nur von der Sprachstruktur, sondern auch von verschiedenen Prinzipien für
kooperative Interaktion ab. Diese Prinzipien spielen eine bedeutende Rolle
hinsichtlich der Beschaffenheit der Sprache. Aus diesem Grund bietet die Theorie
der Implikatur überzeugende Erklärungen für sprachliche Phänomene.
Zweitens lässt sich mit der konversationellen Implikatur anschaulich erklären,
inwiefern man mehr meinen kann, als man tatsächlich sagt, das heißt: mehr, als
durch den konventionellen Gehalt der geäußerten Ausdrücke übermittelt wird3.
Betrachten wir einen Ausdruck, der von einer Person in einem kalten Zimmer
geäußert wird:
(3) Es zieht.
2
Bei Grice und Levinson wird die konversationelle Implikatur häufig verkürzt als
Implikatur bezeichnet, obwohl es Unterschiede zwischen dieser und anderen Arten gibt. In
dieser Arbeit verwende ich aus diesem Grund den Begriff „konversationelle Implikatur“.
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Grice gebraucht die Wendung „das Gesagte“.
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